Intro  Home/Theater

Kritiken II Pinter: Der Liebhaaber; Kroetz: Wunschkonzert; Jandl: Humanisten;  Bayerl: John Wayne kehrt zurück

Seltsamer Flirt zwischen schwebenden Köpfen

Beckets NICHT ICH und DAMALS

Beckett-Einakter im Theater in der Uni Frankfurt. — Auf der schwarzen Bühne sitzt eine erstarrte Frau. Mühsam, dauernd mit Erinnerungsbruchstücken ringend, in knappe Bilder gefaßt, beginnt sie ihren Monolog — die Rückschau auf ein leeres, in seiner Sinnlosigkeit schmerzhaftes. Leben. Es ist als würden  die durch. den Kopf schießende Gedanken sich selbst aussprechen, als würden die Muskeln des Gesichts dabei ihr eigenes Tun kommentieren.

Ein Kopf der im Nichts schwebt, daneben ein bleicher Torso, dienen als optische Fixpunkte im Bühnenbild, während aus Lautsprechern, rund um den Zuschauerraum verteilt, ein bedrängender, wirrer Chorus von Gedanken-Sätzen tönt, der das Publikum gleichsam in den Kopf des Denkenden hineinzwingt. Einzelne Bilder kristallisieren sich aus dem Chaos: Stationen der Erinnerung eines Mannes an Kindheit, erste Liebe, seine Zeit der Suche.

„Nicht Ich” und „Damals", zwei Bühnen-stücke Samuel Becketts, die extreme Einsamkeit, Verlassenheit bis hin zur Auflösung und Negation von Subjektivität

zum Thema haben, präsentiert die Studiobühne der Universität.

Das in sich selbst Verlorensein des Menschen wird in einer weiblichen (Carmen Bayerl) und einer männlichen (Carl Anderson) Rolle dargestellt, wobei Subjekte als Mittelpunkt von Ereignissen, als Träger von Gefühl, Erfahrung und Handlung nicht auszumachen, keine Zielstrebigkeit oder auch nur gedankliche Kontinuität dem Geschehen zu entnehmen sind

Falk Bayerl gelang eine atmosphärisch dichte Inszenierung, die den Beckettschen Pes-simismus in das Gefühlsleben des Publikums  transportierte. Angespannte Stille begleitete insbesondere Carmen Bayerl während ihres Auftritts, gekennzeichnet durch expressive Mimik sowie eine äußerst exakte, knapp bemessene, intensive Körpersprache

Rosemarie Motzko FrankfurterNeuePresse

Stummer Kaspar, armer Kasperl Handkes Kaspar im Theater in der Uni - von Jutta Baier
 

Sinnlos verströmendes Leben

Becketts Nicht Ich und Damals im Theater in der Uni

Ein Schwall von Worten ergießt sich aus ihrem Mund: „Irgend etwas, das sie genötigt war zu erzählen." Sie, die 70 Jahre alte Frau, sprachlos ihr Leben lang, hat „keine Ahnung, was sie da sagt". Es spricht einfach aus ihr, sie kann es nicht halten. Die gequälte Kreatur, von der sie berichtet, ist sie selbst. Dies auszusprechen weigert sie sich beharrlich. Wenn sie „Ich" sagen müßte, ruft ihre Stimme: „Nein! - sie!" Folgerichtig hat Samuel Beckett das Stück „Nicht Ich"genannt.

Carmen Bayerl spielt in der Inszenie-rung des Theaters in der Uni auf der Studiobühne die Frau, die sich aufbäumt gegen ein sinnlos verströmendes Leben-. Die wenigen wiederkehrenden Satzfetzen spricht sie auf einer ganz in Schwarz gehaltenen Bühne, einem Totengemach ohne Schmuck.  Eingeklemmt in ein leicht nach vorne geneigtes Pult preßt die Frau ihre Klage aus sich heraus: ein  Menschenwesen, das – ginge es auf der Straße vorüber – keinen Blick auf sich ziehen würde. Doch hier im Theater wird man – dank der konzentrierten  Darstellung Carmen Bayerl –  aufmerksam auf die gesichtslose Frau, ahnt

ihre unbeschreibliche Not, die sich in ihr angesammelt hat in all den vielen Jahren..

Von Erinnerung handelt auch das zweite Beckett-Stück, das ebenfalls Falk Bayerl in Szene gesetzt hat: „Damals". Der Held, von dem meist nur der Kopf zu erkennen ist, befindet sich auf der Suche nach der verlorenen Kindheit und Jugend. Drei Motive bilden das Material für eine komplizierte Fuge: Wie in der Musik werden sie kunstvoll variiert,  überlagert, gebrochen.

Regisseur Falk Bayerl hat beide Stücke optisch sparsam, doch durchaus wirkungsvoll inszeniert. Die Hauptfigur von „Damals", den sich erinnernden Mann (Carl Anderson), läßt er nur zu Beginn sprechen. An dessen Stelle tritt das vorgefertigte Tonband. Die kunstvoll verfugten Beschwörungen der  Vergangenheit, die oft mehrstimmig über Lautsprecher das Ohr erreichen, wiegen den Besucher in eine sanfte Trance – nicht anders wie beim Beten des Rosenkran-zes oder von Litaneien. Kunst kann offensichtlich doch Religion ersetzen.       rieb. FrankfurterAllgemeineZeitung

Handkes Wahrheit hat zu viele Sätze

“Kaspar” im Theater in der Uni

„Ich möchte ein solcher werden, wie ein anderer einmal gewesen ist", sagt Kaspar zu Beginn des Stücks und weiß nicht, wovon er redet. Noch ist es nur akustisches Material, was da aus seinem Munde quillt, noch ist Kaspar in einem Frühstadium der Menschwerdung: Er verfügt, abgesehen von diesem Satz, nicht über die Sprache. Verwundert spielt er mit den seltsamen Lauten, die aus seinem Inneren drängen, formt die Worte, dreht und wendet sie, lauscht ihnen staunend nach, kostet ab-wechselnd singend, fragend und fordernd ihren Rhythmus und Klang aus.

Die Suche Kaspars nach einer Identität, eingeleitet von dem doppeldeutigen Satz, in dem sich sein Ausdrucksverlangen konzentriert, wird der Autor systematisch vereiteln. Zwar lernt Kaspar sprechen - sogenannte Einsager (Stimmen vom Band) übernehmen seine sprachliche Sozialisation - aber er wird mit dem Spracherwerb seine Individualität verlieren.

Die Einsager stellen sich als Erziehungs-Diktatoren heraus. Peinlich genau achten sie nicht nur auf grammatische, semantische und syntaktische Richtigkeit; die Sprach-muster, die Kaspar eingetrichtert werden, entsprechen zugleich auch geläufigen, gesellschaftlich erwünschten Denkmustern. Mit seinem ersten Satz hat Kaspar ein Programm und seine Programmierung formuliert: Tatsächlich wird er am Ende des Lernprozesses ein anderer sein, nur daß dieser andere wie alle ist, ein Sozialcharakter, mehr oder weniger austauschbar.

Auf der Bühne des „Theaters an der Uni" läßt sich - fast bis zum eigenen physischen Schmerz — verfolgen, wie gewaltsam dieser Prozeß des Spracherwerbs ist.

Wenn Carmen Bayerl als Kaspar mit Strohhut, hellem Wams und karierten Hosen, halb Seppl von der Alm, halb Clown, die Beine ebenso ungelenk von sich spreizt, wie sie die fremden Worte in ihrem Mund wälzt, hat man einen Eindruck von der ungeheuren Arbeit, die Kaspar noch zu vollbringen hat, bis Sprache und Motorik endlich gehorchen.

Mit ernstem, gelegentlich auch tragischem Gestus verdeutlicht Carmen Bayerls Spiel die einzelnen Etappen der Anpassung. Nach der kurzen

spielerischen Lust am Benennen und dem Zuwachs an Erkenntnis folgt der Frust. Kaspar spürt, daß Lernen auch Unterwerfung bedeutet. Dabei ist er zunächst keineswegs ein gefügiges, willenloses Objekt der Dressur. Er wehrt sich, schlägt Haken, bringt Unordnung in die angebotenen Beispielsätze, weicht aus in Nonsens-Poesie und Sprachmusik. Sein Widerstand wird gebrochen. Vor der ihn bald sanft, bald mit drohendem Unterton bedrängenden Einsagerstimme (Falk Bayerl) gibt es kein Entrinnen. Kaspar merkt es selbst und spricht es aus, wenn er den Kampf verloren hat: Jeder Satz für die Katz." Am Ende wird man ihn abführen, andere Kaspars tauchen auf, nähern sich mechanisch ruckelnd wie  aufgezogene Puppen und greifen nach ihm. Den einen, unverwechselbaren Kaspar gibt es nicht mehr.

Die Aufführung (Regie: Falk Bayerl) unterstreicht in jedem Augenblick das Vergewaltigende des Sprechenlernens. Die Sprache, die Kaspar zum Denken verhilft, ist ein zweischneidiges Instrument, sie zähmt und instrumentalisiert ihn. Seine Sprecherziehung gerät, wie Peter Handke in der Vorbemerkung zum Stück sagt, zur „Sprechfolterung".

Der Betrachter kann es nur zu gut nachempfinden. Auch er ist in der zweieinhalbstündigen Darbietung, die sehr konzentriert, aber auch sehr langsam Bild auf Bild folgen läßt, dem fortgesetzten Drill und dem stumpfsinnigen Wiederholen von Patterns wie Exerzitien ausgesetzt. Carmen Bayerl findet dafür eine Fülle von subtilen Ausdrucksmitteln, die man nicht umhin kann zu bewundern, obwohl man mehr unter der Kopflastigkeit der Konzeption zu leiden beginnt.

Falk Bayerl macht seinen Kaspar zu einem Zwillingsbruder des tragischen Kaspar Hauser, des Nürnberger Findlings, der nicht nur Handke entfernt Modell gestanden hat, sondern auch Anlaß war für viele linguistische Reflexionen und Theorien. Ihr Gewicht lastet schwer auf der Inszenierung, macht Kaspar zu einem wahrhaft akademischen Kaspar. Nur Carmen Bayerls Kostüm verrät, daß er im Text manchmal auch verwandt ist mit dem Kapriolen schlagenden Kasperl vom Kasperltheater..  Frankfurter Rundschau

Kaspar will sich und die Welt auf den Begriff bringen. aber es fehlen ihm die Wörter. Sein Autor hat ihm fürs erste nur einen Satz anvertraut, und den hegt er in allen Variationen, um sich zu behaupten: Ach möcht' ein solcher werden, wie einmal ein anderer gewesen ist." Aus gesteiger-tem Tempo, verschobenen Akzenten und wechselnden Rhythmen entwik-keln sich unter Anleitung eines „Einsagers" (Falk Bayerl) Sätze und Perioden, die sich die Gegenstände verfügbar machen: Stühle, Schublade, Schranktür. Wenn sich Kaspar das Schuhband bindet, sein Jäckchen zuknöpft, ist die Welt in Ordnung, der Mensch gesellschaftsfähig, die Sprache vorbildlich, ja musterhaft — eine Schablone, die sich selbst und damit die Wirklichkeit der Lüge überführt.

Die ganze Welt ist Sprache, und das Theater in der Uni hat Peter Handke bei seinem Credo genommen. Ein bißchen zu gläubig allerdings, denn das Stück, das Clans Peymann 1968 im Theater am Turm uraufgeführt hatte, kann mit der Sprache nicht haushalten. Bald fühlt sich der Zu-

schauer unter-, bald der Zuhörer überfordert in der Zwei-Stunden-Inszenierung von Falk Bayerl. Wer nicht gelernt hat, ausdauernd wie aufmerksam hinzuhören, kann sich die sehr akkurat und bei aller Redundanz konzentriert erarbeitete Aufführung gleich sparen.

Der Regisseur hat auf Regie-Einfälle verzichtet und dafür seiner Protagonistin vertraut: Carmen Bayerl — ein "Kaspar— als Hosenrolle? Was soll's, da schon der Verfasser vom histori-schen Kaspar Hauser abstrahiert hatte. Daß die Akteurin gesundheitlich indisponiert war, konnte ihr niemand anmerken. Vom ersten Gehversuch eines Kretins bis zum selbstgerechten Thronen über Worten und Welt und zum Zusammenbruch des Menschen unter seinen wohlfeilen Sätzen hat Carmen Bayerl mit jedem Blick, jeder Gebärde glaubhaft, weil präsent vermittelt: Je sinnvoller die Sprache sich aufführt, desto unsinniger teilt sie sich mit.                          c.s. - FrankfurterAllgemeineZeitung

Johne Wayne kehrt zurück – im Theater in der UNI

‚Johne Wayne kehrt zurück‘  heißt das Stück von Falk Bayerl, das er am Theater in der UNI inszeniert hat. Die suggestive Behauptung mag dem Publikum Erinnerungsschauer an jene Western heraufbeschwören, in denen ein markiger Held siegt. Oder sie mag eine kritische Satire ahnen lassen, die mit der rassistischen und antikommunistischen Hetze, an der John Wayne im Vietnam Kriegszeiten beteiligte, abrechnet. Aber dem Publikum  wird das Wohlbefinden in der eignen Identität heimlicher Wunschbilder oder moralischer Entrüstung genommen. Das Bild John Wayne ist nur ein Gleichnis.

Zwei Männer, der eine knapp Dreißig, der andere über Fünfzig, bekämpfen sich zwei Stunden lang auf der Bühne.  Angeblich sucht der jüngere bei dem alten für eine Nacht auf der Durchreise ein Hotelzimmer. Er tritt als vielbeschäftigter, weit herumgekommener Reisender auf, der bei der Zimmer Nachfrage um Mitternacht an der verwahrlosten Hotelrezeption sofort in selbstgefälliger Weltkenntnis auf den verdutzten Alten einredet, so als gehöre die ganze Welt. ‚Was für eine Welt!‘ entgegnet der Alte, der nie aus seinem Hotel weitab von allem herausgekommen ist.

Das Hotelschild aus früheren Zeiten führt in die Irre. Er kann kein Zimmer mehr vermieten. Aus Notwehr oder Bosheit will er dem jungen Eindringling dennoch die Bedeutung einer sicheren Unterkunft erklären, die er kaum Aussicht habe hier in der Gegend zu finden. Zum Abschluss dieser ersten Konfrontation zwischen zwei Männern requiriert der abgewiesene Gast einfach ein Zimmer.

Das Thema des zweiten Teils ist Lust, die Frau. Für den Jungen gilt eine Frau nur als kurze Eroberung, umso mehr braucht er es, davon zu erzählen. Endlich haben die Männer ein Thema, das sie beide fesselt. Aber nun nützt der Junge die Verlassenheit des Alten, der von einer Frau nicht mehr zu träumen wagt, aus. Der Alte geht hinaus und beendet den Dialog, als der Junge ihm vorspiegelt, gleich werde sein gutgelaunter Intimus, John Wayne, auf einen Sprung hereinschauen. Er habe ihn nach einer Nacht mit einer lästig werdenden Frau angerufen und sich verabredet.

Von draußen ist ein Schuss zu hören. „Jetzt hat er sich eine Kugel in den Kopf geschossen“, kommentiert der Junge zynisch den Fakt, der dem Publikum wie ein befreiender Gag erscheinen mag. Mit dem Tod des Alten kehrt aber auch jemand zurück, nicht Idol John Wayne, sondern die sitzengelassene Frau, die leicht und mit Nonchalance nur den Schlusssatz des Stückes spricht, indem beide wie Leichenfledderer das herrenlose Haus des Alten in Besitz nehmen.

Falk Bayerl hat das Nervende des Aneinander Vorbeiredens sprachlich und dramaturgisch präzis erarbeitet. Frank Bollinger lässt den jungen Aufschneider mit seiner Lässigkeit als den unglücklich Betrogenen erscheinen. Hermann Altmann, als der ums Letzte gebrachte einsame Alte, spielt vorsichtig die Nuancen mürrischer Verletzlichkeit.

In der beabsichtigten Monotonie des ersten Akts, könnten durch die Regie und Darsteller noch ein paar Kontraste präziser herausgearbeitet werden, um nicht statt Boshaftigkeit Müdigkeit aufkommen zu lassen.

Ilse Braatz im Hessischen Rundfunk

 

/