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S. Beckett Virginia Woolf

Jean Paul Sartre GESCHLOSSENE GESELLSCHAFT

'Die Hölle, das sind die anderen.', den wohl am häufigsten zitierten Satz Sartres spricht Garcin aus,, der Journalist,  der zum Verräter an seinen Idealen wurde, wenn das Drama annä-hernd zu Ende ist. Ein Resümee, eine Art verzweifelter Eingeständnis, das schonungslos darlegt, nichts begriffen zu haben?

Drei Menschen in einem Raum, der als Hölle ausgegeben wird. Aber was ist die Hölle anderes als der nirgendwo zu lokalisierende Ort des eigenen schlechten Gewissen?

Sartre: „Die Leute meinen, ich denke unsere Beziehungen zu anderen seien immer vergiftet. Was ich aber sagen will, ist, daß unsere Beziehungen immer verwickelt, verdorben und pervertiert sind. Gleichzeitig aber sind die anderen Leute auch das, was in uns selbst das Wichtigste ist: Ohne den anderen kann keiner von uns sich selbst verstehen. Ich wollte, daß das Publikum sich diese 'lebendigen Toten' ansieht, um ihm klarzumachen, daß man selbst auch ein lebendiger Toter ist, wenn man sich mit unveränderlichen Einstellungen und Verhaltensweisen umgibt. Ich wollte, ad absurdum, die Bedeutung des freien Willens aufzeigen und darauf hinweisen, dass eine Handlung durch eine andere verändert werden kann. Was auch immer der höllische Zirkel unseres Lebens sein mag, ich denke, daß wir die Freiheit haben, ihn zu sprengen.“

Drei Menschen in einem Raum – ohne Tür, ohne Ausgang. Wer aber den fehlenden Ausgang nicht als Metapher nimmt, wird das Stück nicht verstehen; die Metapher, die nichts anderes besagt, als dass der Mensch ein soziales Wesen ist. Und sozial heißt, dass er existentiell verwiesen ist auf den Anderen, ausweglos auf ihn, den einzelnen Menschen und die anderen, die Gesellschaft und die soziale Institutionen, die sich diese Gesellschaft gibt als Skelett ihres inneren Zusammenhalts und zur Organisierung und Regulierung der Lebenswirklichkeiten.

Als Zoon politikon bestimmte Aristoteles den Mensch, als ein auf Gesellschaft verwiesenes Wesen, wie in der globalisierten Welt nach-drücklich erfahrbar, eines Wesens also, das ohne den Anderen, die anderen Menschen nicht leben, vor allem aber nicht überleben kann.

In solcher Konstellation  gründet unausweichlich ein  Konflikt, Willensfreiheit des Subjekts und die  Notwendigkeit eines sozialen Konsenses als Bedingung der Möglichkeit des Überlebens des Einzelnen sowie der Gattung Mensch. Dieser Spannungszustand von Ich und Gesellschaft, Normativität und moralischem Selbst-Entwurf und schließlich die Inkonsequenz  eigenen Handelns in der Praxis angesichts der großartigen Ideale dieses Ichs – gibt den Stoff ab für ein Drama, das ein handfestes Konversationsstück ist. Drama heißt im vorliegenden Fall, dass Konflikte nicht blutig ausgetragen werden wie etwa bei Shakespeare.

  Nein, unblutig, zivilisiert heutig geht es zu in dem Sartres Stück, vorangetrieben von der Schärfe der sprachlichen Vivisektion des Anderen, des Gegenübers dessen Schwächen,

Wünsche und Triebe, seinen Ängsten und  klägliches Versagen aus Überdruß und Langeweile als Partyunterhaltung oder der dann doch irgendwie anheimelnden Hölle Jean Paul Sartres, des Begründers des Existenzialismus, eines philosophisch-soziologischen Denkens, das die intellektuelle  Debatte für mehr als eine Epoche im Europa nach dem zweiten Weltkrieg bestimmte.

Ergänzung 2016: Jahre später steht mit Kaspar ein Theaterstück auf dem Spielplan, das thematisch Sartres Drama nahe ist, nun aber die Sprache ausweist als Medium eines anders wirk-samen Knechtungs- und Sozialisierungsprozesses als es der Andere noch war bei Sartre, wo er als Stellvertreter der Gesellschaft und ihrer sozialen Normen zugleich aber auch als moralische Instanz und damit als so etwas wie das verkörperte schlechte Gewissen des einzelnen auftritt; und dies, während er doch selbst Opfer ist der Gesellschaft im Spannungsverhältnis von  Individuum und sartrte2,7x3,4 cm Allgemeinheit.

Durch die Zuspitzung des dramatischen Konflikts auf die Polarisierung von Einzelnem und Allgemeinheit in Sartres Drama  wird noch einmal die Urform der griechischen Tragödie in die Gegenwart der vierziger und fünfziger Jahre des 20. Jahrhunderts geholt: Dort, in der griechischen. Tragödie stehen sich Chor als Gesellschaft und Einzelner als tragisches Subjekt gegenüber als Initial-Konstellation des Prozesses des Bewusstwerdens des Menschen als Individuum, als Subjekt in der Selbstverantwortung seines Schicksals  im konflikthaften Dialog mit eben der Gesellschaft.

Mit der kritischen Hinwendung zu der  Bedeutung der Sprache in Peter Handkes Kaspar unter dem Aspekt ihrer auf Beherrschung und Beherrschbarkeit hin ange-legten  Funktion in einer zunehmend abstrakter, weil der Kommunizierbarkeit und damit einem allgemeinen Verständnis sich entziehenden Prozessen, die den Lauf der globalisierten Welt bestimmen, tun sich mit der rasant fortschreitenden Digitalisierung und parallel dazu den nicht minder rasant 

expandierenden sozialen Netzwerken - tun sich Tore auf in  bislang unbekannte Dimensionen von Strukturen einer subtil durchherrschten schönen neuen Welt; heißt, haben sich eigentlich längst aufgetan, die Tore, weit, unendlich weit wie einst die Horizonte der Ozeane, deren  Fernen im Zeitalter von Dollar, Euro, Yuan und Yen allenfalls noch Zahlen sind in der Kalkulation der Treibstoffkosten, den nächst lukrativen überseeischen Warenumschlagsplatz anzulanden....

Falk Bayerl

Zur Entstehung von Geschlossene Gesellschaft

Im Herbst 1943 unterbrach Sartre die Arbeit an seinem Roman Der Aufschub (Le Sursis), um ein Theaterstück zu schreiben. Wie bei seinem Erstling 'Die Fliegen' (Les Mouches) wollte er Schau-spielanfängerinnen einen Gefallen erweisen. Marc Barbezat, Herausgeber der exklusiven Zeitschrift I'Arbalète’, hatte Sartre angeregt, für Olga Barbezat und ihre Schwester Wanda ein Drama zu schreiben. Es sollte leicht zu inszenieren sein und sich dazu eignen, daß man damit auf Tournee ging. Von Simone de Beauvoire wissen wir, daß der Plan, ein kurzes Schauspiel mit nur einem Bühnenbild und zwei, höchstens drei Darstellern zu schreiben, Sartre reizte. Er dachte gleich an eine geschlossene Situation: an Menschen, die während eines Luftangriffs in einem Keller eingeschlossen sind; dann kam er auf den Einfall, seine Helden gleich in die Hölle zu sperren.I Es war die Zeit der deutschen Okkupation, während die Alliierten Angriffe flogen, den Feindtruppen die Rückzugwege abzuschneiden. Sartre trug Camus die Rolle des Garcin an und die Regie für die Aufführung. Camus akzeptierte. Erste Proben fanden in der Wohnung von Simone de Beauvoir statt. Allerdings zog Camus seine Zusage zurück, nachdem Sartre das Drama unter dem endgültigen Titel 'Huis clos' an das Théàtre Vieux Colombie abgegeben hatte. Die Schauspielerin Olga Barbezat war von den Deutschen verhaftet worden und die kleine Theatertruppe darüber auseinandergebrochen.

Inszeniert wurde 'Huis clos' schließlich im Frühjahr 1944 von einem belgischen Re-gisseur, die Rollen mit bekannten Schauspielerinnen besetzt. Über Erfolg oder Misserfolg der Uraufführung ist nichts bekannt; selbst das Datum, 27. Mai oder 10. Juni 1944, ist umstritten...

Carmen Bayerl

 

 

Anmerkungen zum Heldentum

Das in Gesellschaft am Leben erhaltene Pathos vom Heldentum ist ein Pathos, das künftige Greuel im Namen der eigenen Sache vorweg sanktioniert. Den Nekrolog  schreiben bunte Fahnen und militärische Abzeichen, mit ihrer Gloriole die blutig ernsten Spuren der Vergangenheit zu verwehen. Und die Felder der Abermillionen Gebeine werden wohlfeil zu Heldenfriedhöfen ernannt, im Kanon von Gedenktafeln und Malen zu Ehren derer, die der Lüge blindlings aufsaßen, den Vorbildcharakter anzumahnen für ein Tun, das bei Strafe im Detail unangerührt bleiben soll.

Sakrosankt ist denn auch die zum Befehl erhobene Parole, daß über die Toten nichts als Gutes zu sagen sei. Schlächter, durch solche Finte plötzlich Helden, und ihre Opfer werden so auf eine Stufe nivelliert. Schon Sophokles' Antigone zehrt als Tragödie von solcher Indifferenz. Im Tod sind alle gleich, verlautbart Infamie im Brustton gefälschter Naivität und macht sich daran, solche Gleichheit, sonst gesellschaftliches Sakrileg, proklamatorisch durchzusetzen, wo bei Sophokles Versöhnung über dem Grab als göttliches Gesetz  fragwürdige Unangreifbarkeit besitzt. Die solcherart erzwungene Gleichheit ist sodann Auftakt zur Infamie eines Rollentauschs von Mördern und Gemordeten. Ernst gemacht mit der Parole, über die Toten nichts als Gutes, klagen die Opfer zu Unrecht ihre unter der Hand von Schuld frei-gesprochenen Mörder an. Die einzig wahrhaft Schuldigen schließlich, die über den Tod hinaus die anbefohlene Friedhofsruhe stören, sind der Opfer unerhörte Klagen.

...und zur Feigheit

Die latente Verachtung fürs Opfer  entlädt sich ganz auf den Feigling. Das überrascht nicht. Eher löste im Zeitalter einer wenigstens in der Vergangenheit Harmonie suchenden Rückbesinnung der umgekehrte Fall Erstaunen aus. Ertappt als Feigling, schießt uns noch immer Schamröte ins Gesicht. Wir wollen Hel-den sein. Drachentöter oder Superman sind zu gewaltige Bilder unerfüllter Knabenträume, als daß geschichtliche Wirklichkeit die im Kern der Wünsche verborgene Regression zu korrodieren vermöchte. Es überdauert in den Tag-träumen aber auch etwas von der dem Menschen angetanen Gewalt. Darin sind Ambitionen auf Heldentum Kinderträumen verwandt, verwandt auch in ihrer Blindheit.

Doch was dem Kind zur Flucht in eine von äußeren Zwängen befreite Welt werden soll, des Helden Tun ist die ins Vielfache gesteigerte Gewalt an Menschen, die ihrem Impuls nach ihm verborgen bleibt. Längst hat Destruktion ganz der gleichen Gesellschaft, die ihn als Leitbild feiert, an ihm ganze Arbeit geleistet, die ihn blind macht für das von ihm verbreitete Grauen.

Falk Bayerl

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