Virginia Woolf - FRESHWATER - eine Komödie

Immer schwebt über Virginia Woolfs Romanen ein Hauch von Wehmut; scheint es. Die Melancholie - als Spuren von Trauer angesichts der Vergeblichkeit des Lebens - schlägt mit jeder reglosen Welle an Land, wo sie sich bricht. Dann aber, und das ist erst nach intensiver Lektüre erfahrbar, blitzen Schalk, Ironie, Sarkasmus auf, worüber das vorgefertigte Urteil, weil es nun einmal auf der trüben Woge selbstgefälliger Empfindsamkeit ´- diesem schlechten Ersatz fürs ungelebtes Leben - sich treiben läßt, hinwegzulesen geneigt ist. Spott, Hohn, Zynismus, die auch vor geheiligten Gütern nicht Halt machen; vordergründig werden Züge ins scharf Kritisierende Virginia Woolf eher nicht zugestanden. Zu männlich wäre das Sezieren von Welt, als daß es einer Schriftstellerin feinster Distinguiertheit  zugeschlagen werden dürfte.

Freshvater - eine Komödie von Virginia Woolf. Was würde nicht eher von  ihr erwartet? Virginia Woolf und eine Komödie, das scheint vorderhand nicht zusammen-zugehen. Dennoch: eine Komödie. Logisch durchaus abhandelbar. Überhaupt ein Theaterstück? Das ist der Gattungsbegriff, bis wir wissen, daß es klassischerweise Tragödie und Komödie gibt. Mit der Komödie haben wir einen Artbegriff, der wiederum ein Gattungsbegriff ist über einer Menge von Artbegriffen, bis die Logik irgendwann abrupt aufhört formal zu sein und schließlich nur noch die einzelne, einzigartige Komödie übrigbleibt - in unserem Fall Freshwater, ein Faktum.

Im Stück werden solche Deduktionen bisweilen durchgeführt. Welt insgesamt oder ein Subkontinent wird von der Phantasie in die Vorstellung beschworen, dann aber steigt man bis zum Faktum des Wirklichen hinab, wie es heißt, als wäre das Faktische der Welt der Hölle verwandt. Aber das Faktische ist wiederum das Zufällige, wie wir wissen. Und bisweilen werden die Fakten haltlos herbeizitiert. Die Fakten, an die Virginia. Woolf sich selbst erst einmal hält, um sie sodann umso vehementer in den Orkus zu stoßen: 'Zum Teufel mit den Fakten. Fakten sind der Tod der Poesie.', sagt der Dichter Tennyson. Dies aber erst, nachdem er zuvor noch behauptete: 'Ich

beschreibe kein Gänseblümchen, ohne es zuvor unter das Mikroskop zu legen.' Unter dem Mikroskop läßt sich nichts erkennen. Das wäre zu einfach. Gleichwohl sind die biographischen Anspielungen - alle Personen im Stück wurden ja Menschen nachgeformt, die im 19. Jahrhundert lebten, außer John Craig, der junge Seemann; daß er tatsächlich lebte, ist nicht verbürgt. Doch, was heißt wirklich leben? Nach dem Tod im Who is Who bedeutender Persönlichkeiten des 19. Jahrhunderts aufgeführt zu werden: ist es das? - Wären dies beweiskräftige Belege dafür, daß einer gelebt hat?

Doch darum geht es. Viel zu anzüglich beziehungsreich sind die Anspielungen in Freshwater, als daß man vermuten dürfte, diese oder ähnliche Sätze wären damals gesprochen worden. Dass sie tatsächlich in der Luft lägen – in der schwülen Treibhausluft der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts., wo allerorten Menagerien und zoologische Gärten entstehen und damit das wilde Tier, die Bestien,  von Gittern “bezähmt” zwar, aber leibhaft präsent in die wuchernden Metropolen brachten,   mutierten bürgerliche Salons in ihren luxuriösesten Ausformungen zu subtropischen Treibhäusern - wundert nur den, der die Prüderie, und nicht nur die jenseits des Kanals, im England der Königin Victoria vergißt.

Und um eben jene Prüderie ist, die den Menschen in die Exzentrik treibt, nennt J. Helmut Freund Freshwater ein Spiel von Exzentrikern für Exzentriker.

Freilich sind es keine exaltierenden Ver-renkungen, die die sexuellen Obsessionen einer Gesellschaft durch die Groteske zu dekuvrieren suchen. Sublim sublimierend zeigen sich die Charaktere, damit aber auch umso differenzierender sie analysierend, facettiert Virginia Woolf das Gedankliche durch Sprache, das sich, weil ein unverbrüchlicher Konsens über die in jeder Sekunde gewahrte Wohlanständigkeit besteht, fast aller komplexeren Symbolik begeben und beinahe offen übers Verdrängte sprechen darf. Geschieht dies wie in Freshwater mit der größten Selbstverständlichkeit von der Welt, wird offen Blasphemisches wider-spruchslos und mit An-stand goutiert, gar als Bonmots beklatscht.

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Das Bewußtsein unserer Zeit antizipierend - und das Bewußtsein im 19. Jahrhundert karikierend, wird bloßgelegt, wohin es mit einem unentwickelten Freiheitsbegriff kommen muss: Freiheit reduziert sich auf ein Laissez faire, das sein höchstes Moment im Fallenlassen der Hüllen sieht, womit dann gleichsam sämtliche zivilisatorischen Hüllen vermeintlich gefallen sein sollen. Daß die im elisabethanischen Britannien sehnsüchtig herbeigewünschte individuelle Freiheit noch ausgerechnet auf dem versklavten Subkontinent Indien realisiert werden soll, das eben macht den Wahnsinn in der Konsequenz seiner  immanenten Logik.

Beschworen wird mit solchen Sehnsüchten, denen William Turners früher Impressionismus den Glanz eines Naturzustands verlieh, der bereits Jahrhunderte früher als verlorener, allenfalls auf der Bühne noch einmal synthetisch herstellbarer aufgezeigt wurde. Shakespeares Sommernachtstraum ist gemeint, von dem einige Versatzstücke wie das tierhaft Brünstige und die alles verzaubernde Nacht, das Vertauschen der Liebenden und anderes –  für Szenen in Freshwater Pate stehen, ohne daß hier wie dort auch nur andeutungsweise die Verwirklichung einer Näherung an einen Naturzustand mehr als ein Traum, Projektion auf einen nur als solche existierenden Orient bleibt.

So gesehen wird das amüsant Komische des Umstands, daß die Camerons ihre Reise nach Indien nicht ohne ihrer beider Särge antreten wollen, zur bitterbösen Metapher auf die vermeintliche Flucht aus der Zivilisation.l

Falk Bayerl

Franca Rame und Dario Fo

Eine moderne Medea

Die Vorrede zur Medea des Euripides ist hilfreich auch zum Verständnis der Medea von Franca Rame und Dario Fo. Ihre Meda haben sie, so versichern beide übereinstimmend, einem oberitalienischen Märschen entnommen.

Gewiß, wem die Medea des Euripides nicht ganz unbekannt ist, wird bemerken, dass die zur Aufführung gebrachte Medea, zumindest was den Verlauf des dramatischen Geschehens anbelangt, von der Struktur der 

S. Beckett   J. P. Sartre

klassischen Vorlage kaum sich unterscheidet – wenn man sich darauf beschränken wollte, die Geschichte der Medea zu erzählen. Alle entscheidendenEinzelheiten werden im Stück genannt und in ihrer Wirkung zum dramatischen Bewegungs-moment verdichtet. Und doch gibt es einen entscheidenden Unterschied durch die Komprimierung des Dramas und damit Konzentrierung auf die Nervenpunkte des Mythos. Und diese Verdichtung oder besser gesagt Zuspitzung auch durch Beschleunigung stellt  dann kaum geringere Anforderungen an die Aufmerksamkeit der Zuschauer als die Vorlage des Euripides.

Tatsache ist, dass Franca Rame und Dario Fo durch Verzicht auf den Chor als das dramatische Element, ohne das die griechische Tragödie undenkbar ist und alle sonst in der Tragödie des Euripides auftretenden Personen einschließlich Jasons, des Gemahls der Medea, den dramatischen Konflikt in einer Weise modernisieren, die mitunter atemberaubend.

Und dies nicht nur, weil die Tragödie in gerade mal einer halben Stunde vor unseren Augen beginnt, sich entwickelt und auch schon zu Ende ist. Wo einst Chor und Akteure als Gesellschaftliches und Interesse des Einzelnen sich gegenüberstanden, nicht selten unversöhnlich aufeinanderprallten, verlegen Franca Rame und Dario Fo  den für jede menschliche Gesellschaft konstitutiven Bruch ins Bewusstsein des Individuums selbst als dem Ort der Aktualisierung des Konflikts zwischen internalisiertem Sozialen und dem das Normative sprengenden eigenen Wollen, das zum Handeln sich emanzipiert, eingedenk des Widerspruchs und der Schuld, die es auf sich lädt, schmerzlich bewusst ist.

Medeas Entscheidung zur Tat wird so zum einzigartigen Akt der Selbstüberwindung, geboren aus Schmerz und Verzweiflung und darin verharrend auch angesichts der als notwendig erachteten eigenen Tat. Dieses überdauert als Klage gegen die Ungerechtigkeit in der Welt und das eigene Verbrechen, hoffend, der begangene Frevel werde entsühnt durch ein besseres Künftiges, wo es solchen blutigen Handwerks nicht mehr bedarf.

Falk Bayerl

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